Wissenschaft und Philosophie zwischen Akademie und Öffentlichkeit

Illusionen sind zwar eine Quelle von Mut, Kraft und Trost, können aber auch gefährlich sein. Eine Aufgabe von Wissenschaft und Philosophie ist es daher, über sie aufzuklären.
Ohne Illusionen – überschiessende Ambitionen der Vernunft – hätte es die Erfolge nicht gegeben, die wir heute mit der sogenannten wissenschaftlichen Revolution und der sozialen und politischen Aufklärung im 18. Jahrhundert in Verbindung bringen: die Erkenntnisse über die Stellung des Menschen im Kosmos (kopernikanische Wende), über die universellen Gesetzmässigkeiten der physikalischen Welt (Newtonianismus, Relativitätstheorie, Quantenmechanik) und die Entwicklungsprinzipien der lebendigen Natur (Evolutionstheorie, Genetik). Auch die Verbesserungen der sozialen und physischen Lebensbedingungen hätten wohl auf sich warten lassen (wie etwa die Befriedung des sozialen Lebens durch die Einsicht in die Funktion von staatlichen Gewaltmonopolen, die Eindämmung von Despotismus durch Gewaltenteilung, die Bekämpfung des Hungers durch Verbesserung der landwirtschaftlichen Erträge, die Eindämmung der Infektionskrankheiten usw.).

In der gegenwärtigen Situation der westlichen Gesellschaften scheint die «Mentalität der Aufklärung» bedroht. Technische Errungenschaften, die sich dieser Mentalität nicht unwesentlich verdanken, können dazu genutzt werden, sie zu unterminieren – wie etwa das Internet, das enorme Wissensbestände zugänglich macht, aber ebenso auch Plattformen für die schnelle Verbreitung von Unwahrheiten, Mythen und Verschwörungstheorien bietet. Es ist daher unerlässlich, dass Wissenschaft und Philosophie die antiaufklärerischen Tendenzen in der Öffentlichkeit bekämpfen, ohne dabei die akademischen Standards kritischer Vernunft zu vernachlässigen. Wissenschaftler und Philosophen können leicht dazu verleitet werden, komplexe Ideen zu vereinfachen, wenn sie einem weit verbreiteten Bedürfnis nach Weltdeutung und Sinnstiftung zu entsprechen versuchen; so aber leisten sie unkritischem Denken Vorschub und befördern ein Klima der Illusionen.

Es gilt demgegenüber, Denkräume zu öffnen und offenzuhalten; so vermag sich kritische Philosophie sowohl als Verbündete der wissenschaftlichen Skepsis als auch als Anwältin des menschlichen Bedürfnisses nach Sinn zu verstehen. Das Projekt «Wissenschaft und Philosophie zwischen Akademie und Öffentlichkeit» strebt eine historische, systematische und problemorientierte Rekonstruktion entsprechender Konzepte kritischen Denkens an. Wie kritisches Denken in der Öffentlichkeit kritisch und selbstkritisch zu bleiben vermag, ist eine wesentliche Frage. Sie tangiert mittelbar auch das, was heute in grossem Massstab als Wissenschaftskommunikation von PR-Abteilungen der Universitäten betrieben wird. Nicht minder relevant in diesem Zusammenhang sind die (alten wie neuen) Medien, die eigene Öffentlichkeiten bilden. Ein besonderes Augenmerk wird der Wissens- und Kritikform gelten, die das klassische, stilbildende Feuilleton kultiviert (oder doch eine Zeitlang kultiviert hat). Leitend kann dabei die zu prüfende Arbeitshypothese sein, dass es auch im sprachlich differenzierenden Feuilleton typischerweise darum geht, Denkräume zu eröffnen und offenzuhalten, anstatt sich etwa einer binären, quasi dogmatischen Logik des Entweder-oder zu unterwerfen.
Geistesgeschichtliche Sondierungen (u.a. Kant, Fichte, Schopenhauer, Marx, Dilthey, Nietzsche, Dewey, Max Weber, Heidegger und Rorty) werden die problemorientierte und systematische Fragestellung auszuarbeiten helfen. Das Projekt, das sich an der Schnittstelle zwischen historisch-epistemologischer Wissenschaftsforschung und Philosophie bewegt,
möchte zu einschlägigen Debatten in Wissenschaft und Philosophie beitragen wie auch eine ausseruniversitäre Öffentlichkeit ansprechen.

Das Projekt wird von Michael Hagner, Michael Hampe und Uwe Justus Wenzel, ETH Zürich, geleitet und von der Nomis Foundation ermöglicht.
 

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